Sonntag, 2. Mai 2010


Es geht zu Ende, wir wissen es. Aber wir sind bereit. Wir waren mehr als vier Monate unterwegs. Haben drei Länder kennen gelernt. Haben uns selber neu kennen gelernt. Allein und wie wir miteinander funktionieren. Oder eben nicht, zuweilen. Es war eine tolle Erfahrung, die wir nie vergessen werden. Nun geht es bald nach Hause. Auch schön. Doch lassen wir zum Abschluss Tim erzählen, wie er die zwei letzten Tage dieser grössten Reise seines Lebens erfahren hat. Direkt und wörtlich aus seinem Tagebuch.


„Um am Birdwatching teilzunehmen mussten wir schon um halb sieben aufstehen. Kaum traten wir, das heisst: ich, Papa und Guide, vors Haus da entdeckte ich eine 40cm grosse Wasserschlange die in einem Kanal davon schwamm. Aber eigentlich waren wir ja wegen den Vögel hier nicht wegen den Schlangen. Wir sahen sogar aussergewöhnlich viele, nähmlich 16 Arten. Ein gelber Oriol, eine weissbrüstige Wasserhenne, zwei schwule Spechte (wirklich, denn bei Spechten kann es zu Homosexualität kommen), drei verschiedene Reiherarten, ein grüner Papagei, ein Kolibri, eine Pfeifente und so weiter.


Dann fuhren wir mit einer Rikscha nach Allepey und von dort mit einem Bus nach Ernakulam. Papa fuhr mit der Fähre nach Kochi um das Gepäck zu holen. Ich blieb im Hotel Broadway Tower und guckte fern. Dann fuhren wir zum Shiva Tempel und schauten die Elefanten an, die für die morgige Parade parat standen. Wir verbrachten den Abend im Tempelgenbiet und assen in einem vornehmen Hotel.


Am Morgen nahmen wir das letzte indische Frühstück zu uns. Dann machten wir uns auf zu einer Bäckerei, um Rasgullas und andere Süssigkeiten zu kaufen. Dannach gingen wir zurück zum Hotel und machten eine Siesta bis 14 Uhr. Um 14 Uhr fuhren wir zum Shiovas Tempel. Dort fanden schon seit 6 Tagen Poojas und andere Festlichkeiten statt.


Als wir ankamen startete gerade eine Elefantenparade, mit drei Elefanten. Die Leute gaben den geschmückten Dickhäutern Bananen und Cocosnüsse. Voran gingen 80 Musikanten. Am Abend knallten immer wieder Feuercracker und es war bewundernswert, dass die 11 Elefanten, die in einer Reihe standen, nicht die Selbstbeherrschung verloren.


Auf den Elefanten standen Männer mit Wedeln und farbigen Schirmen. Um 20 Uhr war es vorbei und wir schliefen noch 5 Stunden bis zum Flug.


Um 2 Uhr Morgens fuhren wir mit einer Rikscha zum Flughafen. Wir hatten ein gstürm mit dem Ticket aber flogen dann doch. Nach vier Stunden erreichten wir Doha. Wir hatten zwei Stunden Aufenthalt. Dannach sassen wir wieder im Flugzeug. In den 5 Stunden schaute ich drei Filme. Dann endlich erreichten wir das verschneite Zürich. Schnee, Juhee. In Zürich trafen wir den Bruder meines Vaters und assen etwas Kleines. Dann fuhren wir mit dem Zug nach Bern und von dort mit dem Auto meines Opas in die Aumatt. In der Aumatt ging ich sofort zu meinem Freund Leo.

Ich hatte gemischte Gefühle, wieder in Bern zu sein. Einerseits würde ich gerne weiterreisen, aber andererseits bin ich froh, wieder bei meinen Freunden zu sein.“


So sah es Tim. Und auch wir sind gespalten. Froh, wieder mal allein im eigenen Bett zu liegen, wehmütig, dass das grosse Abenteuer, auf das wir uns so lange gefreut hatten, bereits zuende ist. Das Leben ist ein Fluss, man weiss es ja inzwischen, und doch ist es beängstigend, wie schnell die Strömung manchmal ist. Schon stehen wir wieder auf dem Balkon, schauen ins Schneetreiben zwischen den nackten Ästen der Platane im Hof, und fragen uns: Waren wir überhaupt weg von hier? Oder ist es genau das, was Heimat ausmacht? Wo hinkommen und das Gefühl haben, man sei immer schon hier gewesen?

Bereits beginnen aber auch schon die Gedanken zu kreisen über die nächste Reise. China? Eher Nein, zu modern, zu grau. Nepal? Sicher wieder, es gibt noch viele Gipfel und Pässe, die locken, und dahinter liegt Tibet.... Indien? Ja, klar, von mir aus schon morgen wieder. Aber nicht der Süden, zu nahe an Südostasien, das wir recht gut kennen, auch wenn die Kultur natürlich eine ganz andere ist. Aber der Norden Indiens, wo wir – rückblickend gesehen – viel zu wenig Zeit verbrachten. Da gibt es noch einiges, Rajasthan, dann hinauf in den indischen Himalaya.... Bloss wann?


Etwas noch: Tim, Du warst ein toller Reisekumpel. Unkompliziert, offen, voller Abenteuergeist, geduldig. Warst nie krank, hast klaglos und mit der Zeit gar mit grosser Lust Curries und Dosas mit allem drum und dran vertilgt. Warst unbeeindruckt von Chaos, Lärm und Staub und Hitze. Kurz: Wir hätten uns nie träumen lassen, dass alles so problemlos verlaufen könnten. Chapeau.... Und für all jene, die sich wegen der Schule nicht auf eine grosse Reise trauen: Tim war blitzschnell wieder integriert, ja war weiter im Stoff als die Klasse. Und hat sich unterwegs auch sozial derart positiv entwickelt, dass man eigentlich nur zu einem einzigen Schluss kommen kann: Ein paar Monate Time-Out von der Schule müssten obligatorisch sein – ein Sprung hinaus ins Leben, der ein KInd weiter bringt als ein Dutzend Bücher und Hefte.

Hinter dem Wasser


Ja, genau so, wie man sich das vorgestellt hat, ist es auch: Die Reisfelder grün und satt. Die Reiher weiss und zahlreich, ihr Flügelschlag fast lautlos, wenn sie in eleganten Kreisen von Palme zu Palme ziehen. Die Kanäle ruhig und friedlich, eingerahmt von dichtem Blattwerk, befahren von Kanu paddelnden Fischern in farbigen Dhotis. Die Sonne am Abend rot und prall. Und vom anderen Ufer des Flusses lassen sich Trommeln, Zimbeln und Gesänge vernehmen. Perfekt. Ein Stück reinen Kitschs, direkt dem Tourismus-Prospekt von „God's“ Own Coutnry“ entsprungen, wie sich Kerala selbst bewirbt. Toll, wenn die Realität tatsächlich mal den Träumen entspricht, welche die Werbung geschaffen hat.


Wir sind in den Backwaters, jenem System von Kanälen, Flüssen und Lagunen, das sich südlich von Cochin der Küste entlang zieht. Herzstück des Tourismus in Kerala, tausendfach beschrieben und fotografiert. Für uns die letzte Station vor der Heimreise. Nochmals tief durchatmen, nochmals ausspannen, ein paar Tage baumeln, bevor es zurück geht. Wir haben uns in den Green Palms Homes einquartiert, einem Homestay auf einer Insel in der Nähe von Allepey. Auf die obligate Hausboot-Tour haben wir verzichtet, nach zu vielen negativen Kommentaren von Reisenden, die wir getroffen hatten. Zum Glück, denn die Kähne, die uns auf den Kanälen begegnen, sind wahre Ungetüme: Riesige Barken, hinten röhrt die Air Condition, vorne thronen die Gäste mit Champagner-Gläsern auf Korbstühlen. Über 1000 Hausboote gibt es bereits, bei der Ausfahrt aus Allepey bilden sich Staus, am Abend legen sie in langen Reihen am gleichen Ort an. Von Romantik keine Spur.


Der Abschied von Odayam war uns einmal mehr schwer gefallen. Nach ein paar Tagen am Strand hat man sich eingelebt, gesehen, was es zu sehen gibt. Dann käme die Phase des völligen Nichtstuns – und man muss wieder weiter. Selbst vier Monate sind zu wenig, um wirklich immer ganz frei entscheiden zu können, von Tag zu Tag, ob man nun noch bleiben will oder nicht. Doch das Homestay ist gebucht, die Rikscha bringt uns nach Kollam, dieses patente Gefährt, das uns nun durch halb Indien begleitet hat. Gelb-schwarz im Norden, grün-gelb im Süden, immer Quelle stinkender Schwaden, stets präsent, wenn man sich irgendwohin bewegen will. Reisen in Indien ist unvorstellbar ohne die knatternden Blechkisten, und nach ein paar Wochen hat man die Preisstruktur derart gut im Griff, dass sogar das dauernde Feilschen um den Preis Spass zu machen beginnt.


Acht Stunden Fähre später sind wir in Allepey. Das Gefährt ist voller Touristen, Inder legen die Strecke im Bus oder Zug zurück. Dafür tuckern wir am nächsten Tag mit dem lokalen Boot auf die Insel. Sie hält am kleinsten Pier, den engen Kanälen entlang. Für ein paar Rupies das gleiche Erlebnis wie mit dem teuren Hausboot. Wir haben Instruktionen bekommen: Bei der St. Joseph's Church aussteigen - Kathrin bekommt Heimweh - dann rechts dem Wasser entlang bis zum grossen zweistöckigen Haus. Hier liegt das Green Palm Homestay, wo sich Thomas, Philipp und Daniel eine nette Nische aufgebaut haben. Alle drei Brüder sind in England ausgebildet, haben lange dort gelebt und wissen entsprechend genau, was die Rucksack-Touristen wollen. Sportliche Aktivitäten, Ausflüge, Kultur, Einblicke ins Dorfleben und Hintergrund-Informationen.


Doch das Homestay ist etwa gar kommerziell aufgezogen und etwas gar teuer. Und selbst der europäische Hintergrund der Besitzer hat nicht dazu geführt, dass man dem Aussenraum etwas mehr Aufmerksamkeit widmen würde. Es scheint irgendwie tief in der indischen Seele festgeschrieben zu sei, dass man draussen alles einfach schmeisst und es dann dort liegen lässt. Schade, denn der Garten des Homestays, direkt am Kanal gelegen, böte wunderbare Erholung in lauschigen Ecken. Wenn denn in der lauschigen Ecke eine Hängematte aufgehängt wäre oder ein gemütlicher Sessel stände und nicht ein Schutthaufen oder verrostende Eisenrohre.


Immerhin zwingt das dazu, Exkursionen in die Umgebung zu unternehmen. Und das lohnt sich. Wir mieten uns drei klapprige Velos, setzen mit dem Boot über den Fluss, verfahren uns in den Strässchen durch Reisfelder und den Kanälen entlang, drehen eine Runde im Kreis, bis wir über Brücken und winzige Wege zum Ziel finden: dem 30 Meter langen Rennboot, das in einem mit Palmblättern gedeckten Schuppen vor sich hin modert. Einmal pro Jahr wird es für die Drachenboot-Rennen verwendet. Hoffentlich wird vorher untersucht, ob es noch dicht ist. Am Abend spazieren wir quer über die Insel und werden auf der anderen Seite vom Guesthouse-Team mit dem Ruderboot empfangen, das uns unter lautem Absingen traditioneller Lieder zurück stakt. Perfekter Abschluss des Tages: Wasserbüffel-Curry mit warmen Parotha.


Wasserhyazinthen sind das grosse Problem der Backwaters. Das – und mehr - erfahren wir von Philipp auf der grossen Insel-Exkursion. Die blauen Blüten sind hübsch anzusehen, aber wachsen rasend schnell und verstopfen die Kanäle, bis kein Durchkommen mehr ist. Verantwortlich dafür ist die Überdüngung der Felder. Tim wird immer selbstbewusster, quetscht unseren Guide aus und beginnt sein Englisch umzusetzen: Er fragt einen der Männer, die mit Körben voller Sardinen auf den Velos vorbeikommen, nach dem Preis: 60 Rupies das Kilo, also etwa 1 Franken 50. Und er hört Philipp aufmerksam zu, fragt nach, will es wissen.Vor allem, wie man aus dem Tamarinden-Blatt eine Trompete bastelt. Oder ein anderes Blatt derart bricht, dass ein Saft austritt, der sich zu Seifenblasen pusten lässt. In düsteren Schuppen wird Toddy angeboten, eine Art Palmwein. Er stinkt nach Käsefondue. Die ersten Heimweh-Halluzinationen?