Dassain in Bhaktapur: Verkehrsfrei soll sie sein, steht noch in den Reiseführern, und bei meinem letzten Besuch vor zwei Jahren störten tatsächlich nur ganz wenige Motorräder die Ruhe der ehrwürdigen alten Königsstadt am Rande des Kathmandu-Tals. Ist es Dassain oder bloss der übliche Lauf der Dinge? Unsere Flucht vor dem Lärm Kathmandus misslingt, denn auch in Bhaktapur zwängt sich ein steter Strom von hupenden Töffs und ratternden Traktoren durch die Strassen, in ständigem Kampf um den beschränkten Platz mit hunderten von Fussgängern. Die Stadt brodelt vor Leben, man handelt mit Hühnern, Büffeln und Ziegen, die bald alle ihr Leben lassen werden. Göttin Durga fordert Blut an diesem wichtigsten Fest der nepalischen Hindus, und zu segnen und zu schützen gibt es gar vieles. Um Mitternacht sollen im Haupttempel 108 Büffel mit je einem einzelnen Schwerthieb enthauptet werden. Wir ersparen uns das Schauspiel, Tim tobt mit ein paar Kindern auf den Stufen des Thaumadi Tole-Tempels, wir gehen essen - no goat, please - und freuen auf eine ruhige Nacht. Fehlanzeige: Unser Hotel liegt an der Hauptstrasse, und ab 21 Uhr ziehen Gruppen von Trommlern und Pfeifern vor unserem Fenster vorbei. Nach Mitternacht kehrt Ruhe ein, doch ab 4 Uhr morgens wird wieder gepfiffen und getrommelt, was das Zeugs hält. Die Musik erinnert an den Basler Morgestraich, und auch das Timing stimmt nicht schlecht. Und was soll’s: um andere Sitten zu erleben, sind wir ja hier hergekommen.
Den nächsten Tag lassen wir ziemlich müde mit planlosem Bummeln verstreichen. Die Monumente der Stadt - sie stammen aus der Blütezeit der Newari-Königreiche im 17. Jahrhundert - sind grandios und liefern einen faszinierenden Hintergrund zum Leben von heute, das immer noch den gleichen Gesetzen folgt. Die Reste des Schlachtfestes der vergangenen Nacht sind noch überall zu sehen: Gruppen von Männern nehmen auf den Plätzen die Büffel aus, schneiden die Bäuche auf, entfernen, Lunge, Herz, Gedärme und Leber, während das Hirn, das Prunkstück, fein säuberlich auf einer silbernen Platte zur Schau gesellt wird. Immerhin ist alles so frisch, dass es nicht stinkt, und Tim bekommt einen erstklassigen Live-NMM-Unterricht zum Thema Büffel-Anatomie. Er nimmt’s locker, selbst vor dem Morgenessen.
Noch mehr Interesse zeigt Tim allerdings für die Drachen, die die Kinder zu Dassain steigen lassen. Es geht darum, den anderen Drachen mit geschickten Manövern die Schnur zu durchtrennen und diese abzuschiessen, wie im Film “Kite Runner”, der allerdings in Kabul spielt. Wir kaufen Spule und zwei Drachen, gehen auf den Durbar Square. Kinder wirbeln über den Platz wie Papierfetzen, die vom Wind getrieben werden. Sie ziehen an Schnüren, drehen an Spulen, doch leider sieht das ganze wie immer einfacher aus, als es ist. Je nachdem, wie weit man die Stange dreht, die durch die Bambussspule führt, lässt sich Schnur ablassen - oder die ganze Sache ist blockiert. Aber schon bald ist Tim von einheimischen Kindern und Jugendlichen umringt, die ihm zeigen, wie man geschickt mit dem Drachen umgeht. Tim schiesst einen Drachen ab - und verliert einen. Das reicht, wir haben nur zwei Drachen, und den letzten will er unbedingt noch in die Berge mitnehmen.
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