Samstag, 19. Dezember 2009

Der Sadhu von Spreitenbach


Dewas hat Pech gehabt. Sonst würde er heute seinen eigenen Suzuki Maruti fahren. Doch als er vor zwei Jahren nach hause kam, stand sein Haus in Flammen. Ausgeflossenes Kochöl. Seine Frau zog sich schwere Verbrennungen am ganzen Körper zu, er selbst zeigt uns seine verbrannten Hände. Die Spitalpflege habe 2 Lakh gekostet, 200’000 Rupien, etwa 4500 Franken. So viel wie ein Kleinwagen. Und so fährt Dewas halt immer noch im Maruti seines Cousins die Kunden durch die Gegend. Wenigstens hat er viele Cousins: Dem einen gehören zwei Taxis, dem anderen ein Restaurant, dem dritten ein Hotel. Nur er habe Pech gehabt im Leben, aber mit Hilfe grosszügiger Kunden werde er es schon noch schaffen. “Good Driver, Sir?” und “Safe Driver, Sir?”, will er alle paar Minuten wissen, während er über die Holperpiste brettert. Und dabei schaut er eine Spur zu unterwürfig nach links, zu offensichtlich darauf bedacht, den Preis doch noch nach oben zu drücken - zumindest in der Form eines Trinkgeldes. Seltsam: Erzählt einem in Indien jemand seine Leidensgeschichte, kommt man stets auf den Gedanken, die nächste Bemerkung werde eine Bitte nach Geld sein. Ist es meistens auch. Schade, nicht immer ein gutes Gefühl.


Dieses stellt sich jedoch bald wieder ein, als wir Maheshwar zu erkunden beginnen. Eine alte Pilgerstadt am Ufer des Narmada, der träge und breit ein glitzerndes Band durch die heisse Ebene zieht. Badeghats und kleine Tempel reihen sich am Fluss entlang auf bis zu einem Fort, das weitere Tempel umschliesst. Die Pilger schlafen im Tempel am Boden, am morgen schreiten sie zum rituellen Bad. Frauen waschen Kleider. Trinken heiliges Wasser und beten. Männer seifen sich die Köpfe und Körper ein. Buben springen übermütig ins Wasser. Auf den kleinen Schreinen liegen Blumen, die Götterbilder sind mit Girlanden geschmückt. Toll, so viele Klischee-Bilder am selben Ort.


Wir treffen Hans-Ruedi aus Spreitenbach. Ganz im Sadhu-Look. Schmuddelige lange Haare, grauer Bart, dreckige rote Robe, eine kleine Umhängetasche. Er ist schon seit vier Jahren in Indien und flucht, es werde immer schwieriger, ein Business-Visum zu bekommen, das ihm ein Jahr Aufenthalt garantiert. In der Schweiz war er schon lange nicht mehr. Sieht auch keinen Grund dafür. Und flucht weiter, dass auch Indien immer kommerzieller werde. Dass man überall Eintritt bezahle. Den Sadhu-Trick kaufen sie ihm bei den Ticket-Schaltern wohl nicht ab. Dafür sieht Hans-Ruedi noch zu westlich aus. Was ihn ärgern dürfte.


Auch “echte” Sadhus streifen in grosser Zahl durch das Städtchen, das ruhig und entspannt wirkt. Wenig Verkehr, keine Touristen - ausser Hans-Ruedi halt, der es sich verbitten würde, so bezeichnet zu werden. Die Häuser strahlen einen morbiden Charme aus. Irgendwie weiss man nie, ob ein Gebäude zerfällt oder gerade neu gebaut wird. Die Grenzen sind fliessend. Auf den Strassen auch. Wo hört die Strasse auf? Wo beginnt der kleine Laden am Rand? Wo der Randstein? Es gibt Ansätze zu einem Gehsteig. Doch dieser hört irgendwo wieder auf. Zerbröselt und zerfällt. Fertig gebaut ist nichts in Indien. Weder Häuser noch Strassen noch der Bahnhof oder der Platz, auf dem die Busse halten. Nicht einmal zu Ende gedacht. Weshalb auch? Nichts ist endgültig, alles dreht sich immer weiter, hat weder Anfang noch Ende.


Mandu und Mahehshwar sind ruhige Oasen. Doch wir spüren die Müdigkeit in Körper und Seele. Wir sind zweieinhalb Monate unterwegs. Voll mit Eindrücken und Erlebnissen. Wir brauchen eine Pause und wir freuen uns auf Goa, das Meer und den Strand. Jet Airways und Air India bringen uns hin. Bequem und in knapp fünf Stunden.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen