Montag, 7. Dezember 2009

…. und geschlossenen Löwen


Bhopal ist zu 60 Prozent muslimisch. Das merkt man. Zumal an Eid, dem muslimischen Opferfest. Weiss gewandet fahren die Männer auf allen möglichen Gefährten zur Moschee. Das rituelle Schlachten der Ziegen und Büffel ersparen wir uns. Wir haben schon zu viel Tierblut fliessen sehen in den letzten Wochen. Aber die Moscheen besuchen wir trotzdem. Die Taj ul-Masjid und die Jama Masjid, beide von Begumas in Auftrag gegeben, den muslimischen Herrscherinnen Bhopals im 19. Jahrhundert. Doch sie sind wenig einladend, und im grossen Hof  der Taj-Moschee beglückt mich eine Gruppe eifriger Männer höflich zwar, aber eindringlich mit einer 15-minütigen Belehrung über meinen “teuflischen Irrglauben“. In bestem Englisch. Dass ich sofort beginnen müsse, den Koran zu lesen, am besten gleich jetzt mit ihnen zusammen. Dass ich sonst direkt zur Hölle fahren werde. Denn der Islam sei der einzige und alleinige Weg zu Frieden und Glück und Erfolg. Ohne jeden Zweifel. Weshalb sind es eigentlich stets Muslime, die einem ihren Glauben mit Vehemenz aufzwingen wollen und andere Religionen pauschal verdammen? Bin ich schon mal einem Buddhisten begegnet, der mich bekehren wollte? So wenig wie sich Hindus in der Regel um die Frage scheren, an welchen Gott der tausend in ihrem Pantheon ich denn nun zu glauben beschlossen habe. Ist es ein Zufall, dass zwei Tage später die “Hindustan Times” in einem prominent aufgemachten Artikel berichtet, die Schweiz habe die Minarett-Initiative angenommen?


Bhopal ist auch die Stadt der grossen Chemie-Katastrophe, die vor ziemlich genau 25 Jahren zehntausende von Todesopfern gefordert hat. Und auch das merkt man. Aussergewöhnlich viele verkrüppelte Bettler strecken einem ihre grotesk verrenkten Gliedmassen entgegen. In den Zeitungen ist zu lesen, dass auch 25 Jahre später das Trinkwasser in einigen Gegenden noch verseucht ist. Dass immer noch Menschen an den Spätfolgen, wie Unfruchtbarkeit und Sehbehinderungen, leiden. Dass die meisten Opfer mit der Behandlung in den eigens dafür geschaffenen Spitälern nicht zufrieden seien. Dass die mickrigen Entschädigungen, die Union Carbide (heute unter dem Dach Dow Chemical) gezahlt hat, noch nicht bei allen Opfern angelangt sind.

Sonst ist Bhopal vor allem unsäglich schmutzig und unsäglich lärmig. Die Häuser der einst schmucken Altstadt sind am bröseln, falls sie noch nicht schäbigen Betonklötzen weichen mussten, auf denen der Monsun braune Schlieren hinterlassen hat. Durch die Strassen wabern Auspuffdämpfe, die Märkte sind voller Abfall, es hat wenig, was das Auge erfreut. Immerhin gibt es ausserhalb der Stadt ein paar Fluchtpunkte. Einmal Sanchi, die Ruinen der frühesten und wohl schönsten buddhistischen Monumente Indiens. Sie wurden von Kaiser Ashoka im 2. Jahrhundert v. Chr. als Busse für das Gemetzel seiner Truppen in Orissa in Auftrag gegeben, nachdem sich dieser zum Buddhismus bekehrt hatte. Die Stupa im Zentrum ist weder gross noch besonders kunstvoll gebaut. Doch die Tore in den vier Himmelsrichtungen brillieren durch Reliefs von einer Feinheit, wie ich ihr bisher nur in Angkor begegnet bin. Und wie in Orccha liegen die Ruinen in einer idyllischen, ruhigen Umgebung, auf einem Hügel über einer weiten Ebene. Dort flitzen die Züge wie blaue Pfeile in der Ferne vorbei und erinnern mit ihrem lang gezogenen Tuten an das Chaos der Städte, dass sie anpeilen.


Wir treffen Mike, einen ausgestiegenen Deutschen, der in Laswal’s Lodge die Tage verstreichen lässt. Er hat alles geschmissen in der Heimat, will endlich das grosse Abenteuer erleben. Mit kleinem Budget. Nun ist ihm im Gedränge beim Einsteigen in den Zug ein grosser Teil seines Geldes gestohlen worden. “Ein Klassiker, Taschendiebe, selber schuld, dass ich so blöd war”, sagt Mike, der hager und ausgemergelt ist. Das pure Gegenteil von Laswal, ehemaliger Colonel der Indian Army, wie er sogleich und mit sichtlichem Stolz betont. Er trägt einen Wunderschnauz, schneeweiss. Auf beiden Seiten steht das Kunstwerk, zu einer Schnecke gekringelt, etwa fünf Zentimeter über die Backen hinaus. Überall stehen Bilder aus seiner Aktiv-Zeit, doch dass hier ein Soldat steht, merkt man auch sonst: Colonel Laswal trägt olivgrünen Strick, sein Blick ist schneidig. “Zu Diensten Sir“, quittiert er unsere Bestellung.

Wir verpassen das Festival, an dem einmal jährlich die Reliquien zweier Schüler Buddhas der Öffentlichkeit präsentiert werden, um einen Tag. Vielleicht besser so, denn es werden 100’000 Buddhisten aus aller Welt erwartet. Dafür machen wir einen Sonntags-Ausflug an den Bhopal-See am Stadtrand. Hier steht das Museum of Man, eine Art indisches Ballenberg - doch waren wir da nicht schon in China…. Behausungen der Adivasi, der Ureinwohner aus allen Teilen Indiens, rotten vor sich hin. Das Museum ist dagegen gut gemacht, eine Fundgrube ethnographischer Artefakte aus einem Indien, das es so nicht mehr gibt. Kleider und Waffen und Schmuck und Haushaltgegenstände Dutzender von Volksgruppen, deren Kultur wie überall auf der Welt vom globalen Mainstream verschlungen wird.

Das Museum ist fast leer. Im Gegensatz zum Seeufer beim “Bhopal Boat Club”. Hier herrscht sonntägliche Feststimmung. Wir beteiligen uns am Motorboot-Rundendrehen um eine kleine Insel, essen Popcorn und Dhel Puri, frittierte Nudeln mit Zwiebeln, den hiesigen Snack, amüsieren uns über die klapprigen Pedalos und die schräge Mode. Indische Männer sind in den 70er Jahren stecken geblieben. Um die schmalen Hüften knallenge Schlaghosen, mit Stickereien wie “Best Boy“ verziert. Dazu ein enges tailliertes Hemd mit langem spitzem Kragen. Oder ein Strickpullunder so altmodisch, dass er nur von Grossmutter stammen kann. Die meisten Jünglinge sind so dünn wie ein Strohhalm und so fein gebaut, dass man sie mit einem Atemzug wegpusten könnte. Ausser die wirklich bösen Buben. Die tragen grosse dunkle Pilotenbrillen und blicken finster. Man sieht sie selten, zum Glück.


Wie könnte man einen Sonntag im Park besser ausklingen lassen als im Zoo? Es ist ein Safari-Park, sogar, an einer fünf Kilometer langen Strasse sind die Gehege aufgereiht. Also brauchen wir eine Rikscha, denn wir sind müde. Der Eintritt ist wie immer für Ausländer etwa 50 mal so hoch wie für Inder. Inklusive Rikscha 1000 Rupies: 22 Franken, ein kleines Vermögen in Indien. Dafür kriegen wir geboten: Leere staubige Gehege. Leere dreckige Gehege. Einen fetten Albino-Lippenbären, der an einen orangen Yeti erinnert. Man sieht in weit entfernt und nur von hinten, und er wankt, und taumelt, als hätte er soeben einen Schlaganfall erlitten. Zwei faule Schildkröten in einem trüben Tümpel. Zwei Tiger weit entfernt im Bambus-Gesträuch. Eine müde Kobra hinter Glas Und eine Unterhaltung mit einem Parkwärter vor dem Löwengehege, die alles wieder wett macht. Um halb fünf, steht in unserem Führer, würden die Viecher gefüttert. Deshalb sind wir um vier hier. “Wann werden die Tiere gefüttert, Sir? - No Sir, please don’t feed the lion. - Nein nicht ich, wann füttern Sie? - Am Morgen. - Nicht um halb fünf? - Nein, um neun. - Alle Tiere? - Alle Tiere, ausser die Löwen. - Wann die Löwen? - Um vier. - Jetzt ist vier. - Ist jetzt vier? - Ja. Jetzt ist vier. - Sorry, Sir, Lion closed today”.

P.S: Wir haben uns in Bhopal bei Dr. Sameer intensiv beraten lassen und führen seither ein “happy married life”.

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