Bhopal ist auch die Stadt der grossen Chemie-Katastrophe, die vor ziemlich genau 25 Jahren zehntausende von Todesopfern gefordert hat. Und auch das merkt man. Aussergewöhnlich viele verkrüppelte Bettler strecken einem ihre grotesk verrenkten Gliedmassen entgegen. In den Zeitungen ist zu lesen, dass auch 25 Jahre später das Trinkwasser in einigen Gegenden noch verseucht ist. Dass immer noch Menschen an den Spätfolgen, wie Unfruchtbarkeit und Sehbehinderungen, leiden. Dass die meisten Opfer mit der Behandlung in den eigens dafür geschaffenen Spitälern nicht zufrieden seien. Dass die mickrigen Entschädigungen, die Union Carbide (heute unter dem Dach Dow Chemical) gezahlt hat, noch nicht bei allen Opfern angelangt sind.
Sonst ist Bhopal vor allem unsäglich schmutzig und unsäglich lärmig. Die Häuser der einst schmucken Altstadt sind am bröseln, falls sie noch nicht schäbigen Betonklötzen weichen mussten, auf denen der Monsun braune Schlieren hinterlassen hat. Durch die Strassen wabern Auspuffdämpfe, die Märkte sind voller Abfall, es hat wenig, was das Auge erfreut. Immerhin gibt es ausserhalb der Stadt ein paar Fluchtpunkte. Einmal Sanchi, die Ruinen der frühesten und wohl schönsten buddhistischen Monumente Indiens. Sie wurden von Kaiser Ashoka im 2. Jahrhundert v. Chr. als Busse für das Gemetzel seiner Truppen in Orissa in Auftrag gegeben, nachdem sich dieser zum Buddhismus bekehrt hatte. Die Stupa im Zentrum ist weder gross noch besonders kunstvoll gebaut. Doch die Tore in den vier Himmelsrichtungen brillieren durch Reliefs von einer Feinheit, wie ich ihr bisher nur in Angkor begegnet bin. Und wie in Orccha liegen die Ruinen in einer idyllischen, ruhigen Umgebung, auf einem Hügel über einer weiten Ebene. Dort flitzen die Züge wie blaue Pfeile in der Ferne vorbei und erinnern mit ihrem lang gezogenen Tuten an das Chaos der Städte, dass sie anpeilen.
Wir verpassen das Festival, an dem einmal jährlich die Reliquien zweier Schüler Buddhas der Öffentlichkeit präsentiert werden, um einen Tag. Vielleicht besser so, denn es werden 100’000 Buddhisten aus aller Welt erwartet. Dafür machen wir einen Sonntags-Ausflug an den Bhopal-See am Stadtrand. Hier steht das Museum of Man, eine Art indisches Ballenberg - doch waren wir da nicht schon in China…. Behausungen der Adivasi, der Ureinwohner aus allen Teilen Indiens, rotten vor sich hin. Das Museum ist dagegen gut gemacht, eine Fundgrube ethnographischer Artefakte aus einem Indien, das es so nicht mehr gibt. Kleider und Waffen und Schmuck und Haushaltgegenstände Dutzender von Volksgruppen, deren Kultur wie überall auf der Welt vom globalen Mainstream verschlungen wird.
Wie könnte man einen Sonntag im Park besser ausklingen lassen als im Zoo? Es ist ein Safari-Park, sogar, an einer fünf Kilometer langen Strasse sind die Gehege aufgereiht. Also brauchen wir eine Rikscha, denn wir sind müde. Der Eintritt ist wie immer für Ausländer etwa 50 mal so hoch wie für Inder. Inklusive Rikscha 1000 Rupies: 22 Franken, ein kleines Vermögen in Indien. Dafür kriegen wir geboten: Leere staubige Gehege. Leere dreckige Gehege. Einen fetten Albino-Lippenbären, der an einen orangen Yeti erinnert. Man sieht in weit entfernt und nur von hinten, und er wankt, und taumelt, als hätte er soeben einen Schlaganfall erlitten. Zwei faule Schildkröten in einem trüben Tümpel. Zwei Tiger weit entfernt im Bambus-Gesträuch. Eine müde Kobra hinter Glas Und eine Unterhaltung mit einem Parkwärter vor dem Löwengehege, die alles wieder wett macht. Um halb fünf, steht in unserem Führer, würden die Viecher gefüttert. Deshalb sind wir um vier hier. “Wann werden die Tiere gefüttert, Sir? - No Sir, please don’t feed the lion. - Nein nicht ich, wann füttern Sie? - Am Morgen. - Nicht um halb fünf? - Nein, um neun. - Alle Tiere? - Alle Tiere, ausser die Löwen. - Wann die Löwen? - Um vier. - Jetzt ist vier. - Ist jetzt vier? - Ja. Jetzt ist vier. - Sorry, Sir, Lion closed today”.
P.S: Wir haben uns in Bhopal bei Dr. Sameer intensiv beraten lassen und führen seither ein “happy married life”.
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