Reine Schönheit
Will man es wagen, noch Worte zu verlieren über den of besungenen, tausendfach beschriebenen, millionenfach fotografierten? Dieses Stein gewordenen Monument an die Liebe, das Schah Jehan beim Tod seiner Frau in Auftrag gab. Beschreiben braucht man es nicht, denn jeder hat ein Bild davon im Kopf. Aber eines kann man sagen: Es gibt vielleicht nur ein Wort, das dem Taj Mahal gerecht wird. Er ist schlicht schön. Perfekte, absolute, reine Schönheit. Nicht weniger, nicht mehr.
Noch liegt er verlassen da. Und wir haben weiter Glück: Vom Yamuna steigt Nebel auf und legt sich wie Watte auf den östlichen Vorplatz. Darüber schimmert der Himmel in hellem Blau, und die Sonne giesst rosa Fäden auf die Kuppel und die Minarette. Der Taj scheint auf einer ätherischen Wolke zu schweben, und man wäre nicht erstaunt, wenn engelartige Wesen, harmonische Lieder singend, darnieder steigen würden. Man kann nicht anders als sich innerlich in Demut und Ehrfrucht zu verneigen vor den Menschen, die dieses Bauwerk erschaffen haben.
Am Tag zuvor hatten wir uns zum Mini Taj fahren lassen. Keine schlechte Einstimmung auf den richtigen Taj Mahal, ein süsses kleines Mausoleum direkt am Yamuna River, bereits in der gleichen Piedra Dura-Technik gebaut wie der Taj. Weisser Marmor, Einlegearbeiten mit harten Halbedelsteinen. In den Souvenirläden gibt es tausende Taj-Nachbildungen aus dem “harten Stein” zu kaufen. Nur ist der Marmor Speckstein und die Edelsteine sind Glas - trotz aller Echtheitsbeteuerungen der hartnäckigen Händler.
Zum Standardprogramm gehört auch der Besuch der Rückseite des Taj. Natürlich wie empfohlen zum Sonnenuntergang. Man zahlt 100 Rupies für den Eintritt in den Park. Nur um danach festzustellen, dass man am Ende der Strasse den gleichen Blick gehabt hätte. Gratis. Hinunter an den Fluss darf man nicht mehr, wenigstens die Touristen nicht. Doppelter Stacheldraht und Wachtürme versperren den Weg. Bewaffnete Soldaten patrouillieren und pfeifen gnadenlos alle zurück, die das kleine Tor öffnen wollen. Man hat Angst vor einem Terroranschlag auf eins der wichtigsten Symbole Indiens und das touristische Zugpferd Nummer Eins. Trotzdem versuchen es zwei israelische Rambos, alle Rufe und Schreie ignorierend. Sie müssen von der Truppe abgeführt werden. Auf dem Uferdamm zu sitzen und die Sonne über dem Fluss versinken zu sehen, ist trotzdem erbaulich. Man ist fast alleine, die Brise weht tausend Stimmen über den Fluss, verwoben zu einem Teppich von Geräuschen, die an das Murmeln eines Bergbachs erinnern, während die Sonnenstrahlen Farbenspiele auf die weisse Kuppel zaubern.
Der Kontrast zwischen dem Taj Mahal und dem Rest der Millionenstadt Agra könnte kaum grösser sein. Um das Rote Fort brandet der Verkehr in einer Intensität, die selbst für indische Verhältnisse beängstigend ist. Ochsenwagen, Rikschas, Kamele, Lastwagen, Motorräder und eine Unmenge von Fussgänger verstricken sich in den Gassen um die Jama Masjid zu einem dicken, undurchdringbaren Knäuel. Es geht weder vorwärts noch zurück, man ist eingekeilt in einer wabernden Masse, die einen Moment lang an Ort pulsiert, bevor sie sich auf wundersame Weise zu entwirren beginnt, unter wildem Pfeifen und Gestikulieren eines Polizisten ein paar Meter bewegt, nur um sich gleich wieder ineinander zu verzahnen. Der Lärm ist Ohren betäubend..Etwas in der Art von Trottoirs gibt es in Indien nicht.Die Strassen sind ein Band von löchrigem Asphalt zwischen Haufen von Dreck und Sand und Kies und Abfall, auf dem man sich irgendwie durchschlagen muss. Wenn man Glück hat, wird man nur von anderen Fussgängern angeremplet.
Die Stadt ist so abgrundtief hässlich, dass sie just dadurch einen gewissen Charme gewinnt. Es riecht nach Verfall, einige Häuser sind eingestürzt, in den Ruinen modert feuchter Abfall. Das schräg einfallende Licht der Sonne lässt die Abgasschwaden gelblich schimmern. Am Rand einer schwarzen, von einem Ölfilm bedeckten Lache verrichten Menschen ihre Notdurft. Und über allem liegt der Gestank von Exkrementen, Tierhäuten, Morast und Benzindämpfen. Es ist höllisch, und doch leben und arbeiten hier tausende von Menschen. Die Bazare sind voller Leben. Frauen kaufen leuchtende Saris. Kleine Buben tragen Chai-Gläser in einem Drahtgestell zu ihren Kunden. Junge Männer backen Chapati im Akkord, schlagen den Teig mit einer weit ausholenden, runden Bewegung an die Innenseite eines Ofens, um ihn nur ein paar Sekunden später abzuklauben und das würzig riechende Brot in einen Korb zu werfen.
In einer Seitengasse hocken Männer in dunklen Buden. Büffelmetzger. Vor ihnen stapeln sich abgehackte Hufe. Köpfe, aus denen die Augen hervorquellen. Därme und Herzen. Der Meister hält die Büffelschenkel über ein Feuer, um die Haare zu entfernen. Der Gestank ist bestialisch, im wahrsten Sinne des Wortes: versengtes Haar, vermischt mit dem süsslichen Geruch angebrannten Fleisches. Ein Junge schält danach die schwarzen Gebeine ab, entfernt die Sehnen. Man posiert gerne, wetzt die Messer, hat Freude am Besuch des Fremden, denn hierhin dürfte sich selten ein Tourist verirren.
Trotz solcher Szenen stellen wir nach vier Tagen fest: Wir fühlen uns in Indien pudelwohl. Tim geht erstaunlich gelassen mit dem Chaos, dem Lärm, dem Dreck und den manchmal abstossenden Erlebnissen um, er ist zufrieden, lacht viel und scheint glücklich. Es sei immer etwas los, findet er. Tiere auf der Strasse, der Verkehrstrubel, die halsbrecherischen Manöver der Rikscha-Faher, wenn sie zwischen Lastwagen und Kühen ihren Weg suchen. Die fremden Gerüche und seltsamen Produkte auf dem Markt. Die Farben. “Die schrägen Gestalten“, wie er sich ausdrückt. Und auch Kathrin hat sich alles viel schlimmer vorgestellt, die Händler aggressiver, die Männer aufdringlicher, die Massen beengender, die Hektik grösser. Vielleicht sind wir halt schon so oft und in einigen so genannt schwierigen Ländern gereist, dass uns selbst Indien nichts mehr anhaben kann. Und wir wissen: Wir haben Delhi und Agra problemlos gemeistert, nun kann uns nichts mehr schrecken.
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