Donnerstag, 7. Januar 2010

Das Murmelspiel der Götter


Lakshmi, daran besteht kein Zweifel, würde Falschgeld sofort erkennen. Eigentlich logisch für die Göttin des Wohlstands und es Reichtums. Sie schnuppert kurz an jeder Münze, bevor sie sie ihrem Mahout nach hinten reicht. Bekommt sie Bananen in den Rüssel geschoben, befördert sie diese ebenso zielsicher direkt hinter die riesige fleischige Zunge in ihrem rosa Mund. Und der edle Spender geht auch nicht leer aus. Der Tempelelefant berührt mit seinem haarigen Rüssel ganz zärtlich seinen Kopf. Man darf sich als gesegnet betrachten. Wir lassen es alle drei geschehen und fühlen uns gleich voller Energie.


Zuvor konnten wir beobachten, wie Lakshmi unten am Fluss gebadet wurde. Der Mahout schrubbt jeden Quadratzentimeter Haut mit einer groben Schuhbürste und Lakshmi selbst beendet den Job mit prustenden Rüssel-Duschen. Dann wird das Grautier frisch bemalt, denn Lakshmi ist ein Star: Drei graue Streifen auf die Stirne, darüber ein gelber Kreis mit rotem Punkt. Sie bringt die Massen in den Virupaksha-Tempel. Und damit das Geld. Und sie wird in ein paar Tagen im Zentrum einer Prozession stehen, mit der an das erinnert wird, was sich hier am Ufer das Thungabhadra-Flusses vor exakt 500 Jahren ereignet hat.


Wir sind in Hampi. Heute ein verschlafenes Nest und das, was man einen Traveller-Hangout nennt. Im Jahr 1509 bestieg hier Krishna Deva Raya den Thron Vijayanagars und leitete das Goldene Zeitalter des Hindu-Königreiches ein, das sich damals von Küste zu Küste erstreckte und den lukrativen Gewürzhandel fast vollständig kontrollierte. Das Monopol zahlte sich aus, und die Herrscher der “Stadt des Sieges” errichteten einen Tempel nach dem anderen. Doch 1565 hielt das Bollwerk, das die dravidischen Königreiche des Südens gegen den Vormarsch des Islam geschützt hatte, dem Ansturm der Muslime nicht mehr stand. Nach der Niederlag in einer Schlacht gegen die Sultane von Bijapur wurde die damals grösste Stadt Asiens vollständig geschleift.


Die Plünderer haben ganze Arbeit geleistet. Denn übrig geblieben sind nur noch einige wenige Tempelruinen, kleine Pavilions, Überreste von Palästen und Ställen für die Elefanten, die schon damals in den Tempeln (und auf den Schlachtfeldern) zu tun hatten. Allzu beeindruckend sind sie nicht, wenigstens im Vergleich zu den Bauwerken, die wir im Norden gesehen hatten. Doch Hampi lebt von der Landschaft, in welche die Ruinen eingebettet sind: Die Hügel sind übersät mit aufeinander getürmten runden Felsen, als hätten die tausend Götter des hinduistischen Pantheons mit Murmeln gespielt, Streit bekommen - was indische Götter oft und ausgiebig tun -  und die Kugeln danach in einer wilden Schlacht übers Land verstreut. Manche kleben in schier unmöglichen Positionen aneinander, als müsste man sie nur anschubsen, damit sie das Gleichgewicht verlieren und in die Tiefe purzeln. Das tun sie aber nicht, und man kann bestens auf ihnen thronen, um den Sonnenuntergang zu geniessen. Dazwischen mäandert der Thungabhadra. Frauen waschen Kleider. Sadhus, geschmückt mit Pfauenfedern auf ihren orangen Turbanen, sitzen auf den Treppen der Ghats und schnorren die Touristen an. Die übliche indische Szenerie halt. Folklore-Kitsch, aber immer gemischt mit einem Schuss Authentizität.


Bis vor zwei Jahren hat man den Fluss in Coracles überquert, mit Teer und Plastikplanen abgedichteten, kreisrunden Körben aus Weidengeflecht. Das hat bloss 5 Rupies gekostet und bot einigen Bootsleuten aus dem Dorf ein ganz anständiges Auskommen. Dann kam die Distriktregierung auf die blendende Idee, eine Konzession für eine Motorfähre auszuschreiben und diese zu versteigern. Das brachte viel Geld ein, das irgendwo hinfloss, aber bestimmt nicht in die Verbesserung der Infrastruktur des Dorfes. Der Mann, der die Konzession erwarb, ist einer der reichsten in Hampi - und offensichtlich will er das in das Fährmonopol investierte Geld so schnell wie möglich wieder hereinbringen. Nun kostet die Fahrt 15 Rupien, die Fähre legt erst ab, wenn sie voll ist, und nach 18 Uhr zahlt man 50 Rupies. Zudem haben dutzende Bootsmänner keine Arbeit mehr. Eine Verschlechterung der Situation für alle also - ausser für ein paar korrupte lokale Beamte und den Konzessionär der staatlich lizenzierten Fähren-Mafia.


Wir quartieren uns trotzdem auf der anderen Seite des Flusses ein, in Virupagadda, und zahlen Zähne knirschend die Fährgebühren. Dafür ist es hier schön ruhig, obschon sich ein Guesthouse ans andere reiht. Und man blickt direkt auf die Reisfelder und den Fluss. Das einzige Problem sind die Massen von jungen Hippie-Rasta-Travellern, die hier rumhängen. Viele von ihnen sind Israeli, die in Goa und Hampi nach drei Jahren in der Armee überwintern und nichts andres im Sinn haben, als den Unsinn, mit dem sie die letzten 36 Monate verschwenden mussten, zu vergessen. Es ist nachvollziehbar, dass sie einfach abschalten wollen, tagelang rumliegen, trommeln, trinken und rauchen. Aber ihr Auftreten und ihre Einstellung gehen uns mit der Zeit gewaltig auf den Keks. Kommt hinzu, dass Israelis nicht gerade bekannt sind für ihre Freundlichkeit, um es einmal sehr nett auszudrücken. Zudem packt uns plötzlich die Reisemüdigkeit. Tim ist gelangweilt. Ungehalten. Kathrin und ich sind schlicht müde. Zu viele Eindrücke vielleicht. Zu viele Tempel. Zu viel Lärm. Zu viele Menschen. Was tun wir eigentlich hier? Doch die Frage, ob wir lieber in Bern wären, ist spätestens nach einem Blick auf die Bluewin-Wetterprognosen beantwortet. Und so hängen halt auch wir im Guesthouse rum, schlafen, dösen und schleppen uns nur ab und an ins Dörfchen.

Wir raffen uns auf und mieten Velos. Und ausgerechnet an dem Tag, an dem wir diese Stein-Kegelbahn genauer unter die Lupe nehmen wollen, entdecken wir etwas, was wir die letzten vier Wochen nie mehr gesehen hatten: Wolken. Eine dichte graue Decke überzieht den Himmel. Wir brechen trotzdem auf, Pedalen zum Hanuman-Tempel, wo der in ganz Indien beliebte Affengott geboren sein soll. Er liegt ganz oben auf einem Hügel. Den Weg hinauf muss man sich erkämpfen gegen Horden aggressiver Affen, die auf der Jagd nach Essbarem auf Rucksäcke springen und an Taschen reissen. Kathrin  gerät in Panik. Es gibt für sie wohl nichts schlimmeres als eine Horde fauchender Makaken. Vielleicht noch eine Königskobra im Badezimmer. Tim nimmt’s wie immer gelassen und besorgt sich einen langen Stecken.


Wir fahren bis Anegondi, ein kleines Dorf am Fluss. Trinken Tee. Essen Idli, die im Süden beliebten Reis-Pancakes mit scharfer Sorte. Tim und ich lieben sie, Kathrin hält sich an Samosas und Pakora. Ich lasse mich rasieren und frisieren. Wir vertrödeln die Zeit, indem wir vor den Teebuden sitzen und Jungs beim Fahrrad pumpen zuschauen. In Anegondi stand einmal eine Brücke. Doch sie ist längst eingestürzt, und so sind hier wieder die Coracles zu sehen, die Weidenkörbe, die für die Flusstraverse sorgen. Ein schöner Anblick für Nostalgiker. Doch die Moderne ist auch hier nicht fern: Selbst Motorräder finden in den schwimmenden Untertassen Platz.


“Folding, folding”, ruft uns Arjun zu. Er hat den Bart kurz gestutzt und sieht äußerst gepflegt aus. Lange dunkle Hose, kariertes Hemd. Mitten auf der Strasse in Hampi Bazaar hat er seine Ware ausgelegt. Plastik-Spangen, mit der sich das Haar perfekt hochstecken lässt. Zu Demonstrationszwecken hat er eine Puppe mit langen blonden Zöpfen auf die Strasse gestellt. Klar. Kathrin lässt sich die Sache vorführen. “Folding, folding, Madame”, sagt Arjun bloss, als er mit geschickten Griffen Kathrin echtes blondes Haar in der Spange zum Knoten faltet. Das sind die einzigen englischen Worte, die er beherrscht. Und “20 Rupies only”. Kathrin ist begeistert und kauft. Für 15 Rupies. Wie das Teil funktioniert, haben wir nie herausgefunden. Tim interessiert sich ohnehin mehr für den Schlangenbeschwörer, der ein paar Meter weiter seine Kobras tanzen lässt. Kathrin setzt sich in gebührendem Abstand hin.


Wir haben uns doch noch zu einer Tempeltour entschlossen. Wandern dem Fluss entlang und lassen uns mit einem Coracle übersetzen. Wir nehmen den grossen Vitthala-Tempel mit. Unesco-Weltkulturerbe, aber wir sind nicht begeistert. Den Krishna-Tempel und die Vishnu-Statue mit den grossen Glubschaugen. Die Sonnenuntergänge vom Hemakuta-Hill gefallen uns besser. Und die netten Bekanntschaften, die wir hier machen. Uschi und Keith aus Wien, beide Sprachlehrer bei Berlitz. Und Jens und Daria aus München, die wir schon in Goa trafen. Beide sind Augenärzte, und sie sind zum ersten Mal nicht pauschal und nicht luxuriös unterwegs. Und standen einen Tag nach Ankunft in Delhi mit einer Pauschal-Taxi.Topur durch Rajasthan da, von einem Reisebüro-Schlepper aufgeschwatzt und per Kreditkarte im voraus bezahlt. Es lief alles gut, der Taxifahrer traf tatsächlich ein.


Wir haben das eindeutige Gefühl, dass wir schon viel zu lange in Hampi hängen. Doch wir haben ein bestätigtes Ticket für den Nachtzug nach Mysore. Und die Zugsticket sind nun, gegen Wehnachten, nicht einfach zu kriegen. Und dann werden wir belohnt, aus heiterem Himmel. Wie so oft in Indien passiert irgend etwas Aussergewöhnliches, wenn man nur lange genug an einem Ort bleibt und gut hinschaut. Diesmal ist es die Prozession, welche den Auftakt der 500-Jahr-Feierlichkeiten der Thronbesteigung Krishna Deva Rayas begleitet, des wichtigsten Herrschers Vijayanagars.


Trommler stehen unter dem Gewölbe des Eingangstors des Virupaksha-Tempels und schlagen auf ihre Instrument ein, dass man fürchtet, der Tempelturm werde gleich einstürzen. Ein paar Meter weiter hat sich eine Schar Götter versammelt, kunstvoll geschminkte Gestalten, die am Boden kauern und auf ihren Einsatz warten. Hanuman, in grellem Grün, erschreckt die Kinder. Krishna, blaues Gesicht, schwarze Perücke, sieht aus wie eine Drag-Queen. Und Rama feuert seinen Bogen auf Lanka, den schwarz gewandeten Dämonenkönig, den er zusammen mit Hanuman im Ramayana-Epos erledigt.


Lakshmi gibt mit lautem Trompeten das Signal für den Aufbruch. Der Elefant marschiert gelassen ab, dann bricht die Hölle los. Die Trommler-Gruppen schlagen in irrem Rhythmus auf ihre straff gespannten Ziegenhäute und riesigen Gongs, die Götter hüpfen wie Derwische über die Strasse, spielen Ramayana-Kämpfe nach und schiessen ihre Pfeile ins Publikum. Grün gewandete Mädchen tragen Kokosnüsse, in Banananblätter gewickelt, graziös auf den Köpfen. Ganz hinten im Zug kommen die Politiker. Karnatakas Chefminister und seine Adlaten stehen auf der Ladefläche eines Lastwagens und winken ins Publikum. Interessieren tut das niemanden. Uns auch nicht. Aber wir sind froh, dass wir so lange in Hampi ausgeharrt haben.

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