Montag, 18. Januar 2010

In Touristenfallen und Teefeldern


Es gibt untrügliche Zeichen dafür, dass man einen Ort so schnell wie möglich verlassen muss. Zum Beispiel, wenn an jeder Ecke schmierige Kaschmiris stehen und so unverschämt lächeln, als würden sie einen alten Freund begrüssen: “Come in, my friend, no money, just looking“. Fort Kochi ist so ein Ort. Leider. Denn die alte Drehscheibe des Gewürzhandels der Malabar-Küste ist eine der ganz wenigen südindischen Städte, die auch architektonisch etwas zu bieten hätten. Portugiesen, Holländer und Briten haben hier ihre Spuren hinterlassen. Doch die prächtigen Kolonial-Villen, Paläste und Lagerhäuser sind heute bloss noch Fassade für die Touristen, die zu hunderten durch die Gassen streifen. Und von den Kaschmiris in die Handicraft Emporien geschleppt werden, wo Statuen, Schals und Schmuck zu lächerlich überhöhten Preisen warten.


Wir hatten uns gefreut auf Kochi. Wieder etwas normales Leben nach der Strand-Idylle. Märkte und enge Strassen zwischen bröselnden, mit Azulejos geschmückten portugiesischen Bogengängen. Doch nachdem wir den grossen Touristenströmen bisher fast überall ausweichen konnten, wirkt Kochi wie ein Schock. Sicher: Man findet auch noch Gassen, in denen nicht mindestens fünf Guesthouses stehen. Und hunderte Schulkinder, die in ihren Uniformen in die katholischen Schulen strömen. Kurze blaue Hosen, weisses Hemd, Kravatte. Als ginge es zur Messe. Im alten Jewish Quarter sind sogar Überbleibsel der Gewürz-Lagerhäuser noch in Betrieb. In groben Jutesäcken wird gehandelt und verladen, was die Gegend reich gemacht hatte. Und die Europäer hierhin lockte: Pfeffer. Cardamom. Reis. Gewürznelken. Sternanis.


Doch auch hier haben die Kaschmiris Einzug gehalten. Und wenn gerade ein Kreuzfahrt-
Schiff angelegt hat, steigen die Preise nochmals an. Wir wohnen in einem wunderbaren Guesthouse. Holländische Kolonialvilla. Es gibt überall Pizza und Spaghetti. Nette Abwechslung. Und Internet-Zugang. Schön. Aber trotzdem beschliessen wir, Kochi nach einem Tag wieder zu verlassen. Zu viel des Guten. Den Sonnenuntergang bei den chinesischen Fischernetzen nehmen wir noch mit. Mit ca. 3267 anderen Touristen. Wohl das meistfotografierte Sujet Keralas. Aber die Fänge sind minim. Und so ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Fischer nur noch für die Besucher posieren.


Tim beginnt immer besser zu beobachten. Kerala müsse sehr reich sein, stelle er fest, denn im Vergleich zum Norden Indiens seien die Häuser hier viel grösser und schöner. Tatsächlich schiessen am Stadtrand Ernakulams, der modernen Schwester Kochis, Dutzende Appartment-Häuser aus dem Boden. Und auf der Busfahrt von Kochi in die Berge fahren wir immer wieder an Villen vorbei, die auch in einem amerikanischen Vorort nicht schäbig wirkten. Grosse Auffahrt hinter einem Gittertor, zwei Autos. Terrassen und Balkone. In frischen Pastellfarben gestrichen. McMansions nennt man die Ungetüme in den USA. Nur sind sie hier nicht aus Sperrholz gezimmert, das bei jedem Hurrikan in sich zusammenfällt, sondern aus stabilem Beton.

Das Geld für die Villen stammt aus dem Golf. Hunderttausende Männer aus Kerala arbeiten in Dubai, Qatar, Abu Dhabi. Denn sie weisen gegenüber anderen Indern zwei grosse Vorteile auf. Viele sind Muslime. Und sie haben eine gute Ausbildung, denn Kerala wiest einen Alphabethisierungsgrad von fast 95 Prozent auf. Sie unterhalten mit ihren Geldsendungen ganze Grossfamilien. Und wenn sie nach Jahren harter Arbeit zurück kommen, protzen sie mit dem Bau riesiger Villen. Hohes Bildungsniveau und Ölgeld.  Das dürften die wichtigsten Gründe dafür sein, dass es Kerala ökonomisch sichtbar besser geht als vielen anderen indischen Staaten. Und weniger, wie Nasik im Kannur Beach House zu wissen glaubte, der besondere genetische Mix Keralas, das als Drehscheibe des Gewürzhandels stets “the best and the brightest” aus allen Ecken der Welt angezogen und damit einen Menschenschlag geschaffen habe, der für Innovationen offen sei.


Wie auch immer: Keralas Wirtschaft scheint gut unterwegs tu sein, denn zwischen Ernakulam und dem Beginn der Western Ghats verlässt man kaum je den urbanen Raum. Erst als der Bus keuchend zu steigen beginnt, gewinnt das Grün die Oberhand. Reisfelder vorerst. Bananenplantagen. Dschungel, der immer dichter wird und sich über der Strasse zu schliessen beginnt, als wollten die Lianen die Fahrzeuge greifen. Dann öffnet sich der Blick auf Grasland, das bis hinauf zu schwarzen Felsen reicht. Hier beginnt das Land des Tees. Ein kobaltgrünes Tuch liegt auf den Hügeln, beschattet von Silbereichen, deren Stämme aus den grünen Wellen ragen wie die Masten einer Armada von Segelschiffen.     


Es ist Samstag, man ist der Hitze der Küste in die Berge entflohen. Und so ist Munnar voller Leben. Der Basar brummt. Tee gibt an jeder Ecke. Kaffee auch. Nüsse, Trockenfrüchte und “home made chocolate”. Und eine Unmenge von verschiedenen Gemüsen. Jene aus den Tropen unten. Und jene aus dem Hochland hier. Die Chai-Verkäufer machen gute Geschäfte, die Stimmung ist ausgelassen, auf den Strassen herrscht das übliche Chaos. Am Strassenrand werden Parothas im Akkord gebrutzelt. Wir setzen uns hin, bestellen sechs der duftenden Fladen, nehmen Kichererbsen und Huhn dazu. Das billigste Nachtessen aller Zeiten. Exakt 2 Franken 70 für alle drei. Und eines der besten dazu. Welch eine Erleichterung zur Kunstwelt Kochis, wo arrogante Italiener winzige Portionen Spaghetti zu aufgeblähten Preisen verkaufen.


Salim führt uns durch die Teeplantagen. Acht Stunden soll die Tour dauern. Hinauf auf den Berg ohne Namen, der 2300 Meter über Meer liegt. Immerhin 800 Meter höher als Munnar. Wir sind Himalaya-erfahren und wagen es. Doch schon beim Aufstieg beginnt es zu regnen. Niesel zuerst, dann ein Wolkenbruch. Wir stellen uns unter einen der Felsen, die in den Teefeldern stehen. Und Salim erzählt, was wir schon so oft gehört haben, seit wir die Schweiz verlassen haben. Das sei wirklich sehr unübliches Wetter für diese Jahreszeit, in der es eigentlich absolut trocken und kühl sein müsste. Schon in Kannur und Wayanad war es zu heiss und viel zu feucht. Er könne sich nicht erinnern, dass es jemals Ende Dezember derart stark geregnet habe, hatte uns Kurian gesagt. Und der Mann ist mindestens 50 Jahre alt. Zuvor der kurze “Freak Monsoon” in Nepal. Und dann die Kältewelle am Ende unserer China-Reise. Die Klimaveränderung macht sich überall bemerkbar.


Kathrin und Tim steigen ab ins Dorf. Ich gehe mit Salim und ein paar anderen Wandervögeln weiter bergauf. Und wir werden belohnt. Es klart auf. Ein paar Nebelschwaden kleben noch an den Felsen und hüllen das Grasland unter ihnen in Watte. Doch die Sicht ins Tal und in die Ferne ist frei. Tee, wohin man blickt. Ein Teppich aus grünen Puzzlesteinen, jeder Strauch ein Stein. Mit winzigen Abständen dazwischen, damit sich die Pflückerinnen hindurch zwängen können. Tee ist Big Business hier und sehr profitabel. 180’000 Hektaren sind mit dem Busch bepflanzt, 80 Prozent gehören der Firma Tata, die auch Autos und Lastwagen und auch sonst fast alles produziert. Profitabler ist nur Cardamom, der bringt 1000 Rupies (23 Franken) pro Kilo. Doch er braucht Schatten und kann nur im Wald wachsen. Und dieser wurde grösstenteils abgeholzt, um Teeplantagen anzulegen. Ich lasse eine der kleinen Cardamom-Kapseln im Mund zergehen. Eine Explosion der Geschmäcker, wie starker Chai, der langsam über die Zunge rinnt.


Wir geniessen nochmals den quirligen Bazaar. Gucken in der Kirche vorbei. Sind enttäuscht, weil die Parotha-Bäcker bereits abgezogen sind. Ende des Wochenendes, die indischen Besucher machen sich auf den Weg in die Ebenen. Wir frieren und beschliessen, am nächsten Tag abzureisen. Das war ein Fehler, denn als wir im Bus sitzen und durch die Teefelder schaukeln, wölbst sich strahlende Bläue über uns. Gerne wären wir nochmals in die Höhe gestiegen. Doch was soll’s. Wir fahren auf der anderen Seite der Ghats hinunter in die Ebenen von Tamil Nadu.

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